Aus den Tropen in die Pfarrgasse

Es war einmal ein Krokodil, das mit einem Wanderzirkus von Dorf zu Dorf und von Stadt zu Stadt zog. Das Krokodil war die Attraktion, denn Anfang des 20. Jahrhunderts kannten die Menschen solche exotischen Tiere ja nur von Zeichnungen oder Bildern.
Als der Zirkus in Freistadt Station machte, gefiel es dem Krokodil bei uns im Mühlviertel so gut, dass es ausbüxte und auf Entdeckungsreise ging. Die Freistädter Jägerschaft wurde damit beauftragt, es wieder einzufangen. Als die Jäger mit der Trophäe in die Stadt zurückkehrten, haben sie berichtet, sie hätten das gefährliche Tier waidmännisch erlegt – also erschossen. Andere, die dabei gewesen sind, haben diese Behauptung aber als Jägerlatein widerlegt, denn sie erzählten, dass das Krokodil schon tot gewesen ist, als man es gefunden hat. Wahrscheinlich war es dem tropischen Vierbeiner zu kalt bei uns!

Heute hat das Krokodil einen Ehrenplatz in einem der schönsten Häuser der Stadt. Das Haus gehörte damals Kaspar Obermayr, einem Kolonialhändler, der seltene Waren wie Gewürze, Tee und Stoffe von Überseereisen mit nach Freistadt brachte. Er war ein angesehener Mann und hatte zum Beispiel auch den allerersten Fotoapparat in ganz Freistadt.
Kaspar Obermayr erbat sich das tote Tier vom Zirkus, ließ es ausstopfen und dann in seinen Hauseingang hängen. Er behauptete seit an, das Krokodil auf einer seiner Geschäftsreisen eigenhändig am Nil erwürgt zu haben. Eine Werbemaßnahme, die sich ausgezahlt hat: Noch heute erzählen sich die Freistädter, dass sie als Kinder immer zum Obermayer gehen wollten, um das Krokodil anzuschauen!

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