Hoch über den Dächern der Stadt ragt der ziegelrote Schlot der Freistädter Brauerei in den Himmel. Es ist Sonntagabend, als die beiden Rauchfangkehrer Anton und Ferdinand mit ihrer Ausrüstung vor dem großen Tor des Freistädter Brauhauses ankommen. Ihnen steht eine Aufgabe bevor, die die ganze Nacht dauern wird: den Schornstein der Brauerei zu reinigen.
Vor zwei Tagen wurde das letzte Mal geheizt, jetzt ist der Rauchfang so weit abgekühlt, dass die Schornsteinfeger hineinklettern und den Ruß von den Ziegelwänden abklopfen können. Die Arbeit ist hart, es ist stockdunkel und stickig. Der Rußstaub brennt in den Bronchien und der schmale Schacht lässt kaum Bewegungsfreiheit zu. In kurzer Zeit ist man schwarz von Kopf bis Fuß. Noch dazu ist der Turm schief, was das Reinklettern zusätzlich erschwert.
Die Männer brauchen außerdem eine ordentliche Portion Mut, gehört der Brauereischornstein mit seinen 27 Metern doch zu den höchsten vom ganzen Bezirk!
1885 wurde das neue Sudhaus mit Kohleheizwerk und Stromgenerator und damit auch der begehbare Schlot in Betrieb genommen. Der hohe Kohleverbrauch machte einen Schornstein dieser Größenordnung notwendig. In Orten mit Brauereien galten deswegen die jeweiligen Schornsteine immer auch als Wahrzeichen, da sie schon von weitem zu sehen sind. Ob beim Mauern des Rauchfangs zu viel Bier geflossen und der Turm deshalb schief geraten ist, wurde nicht überliefert. Sicher ist nur, dass sich der Schlot nicht erst später geneigt hat, sondern schon schief aufgemauert worden ist. Bis nach dem Ersten Weltkrieg war die Brauerei auch Stromlieferant für die Handwerksbetriebe in der Innenstadt. Diese Leitungen werden heute immer noch von der Linz AG genutzt. 2011 wurde das System runderneuert und auch das emissionsarme Gasheizwerk in der Brauerei in Betrieb genommen. Ab diesem Zeitpunkt wurde der alte Schlot der Brauerei endgültig außer Betrieb genommen. Heute ist der Schornstein oben abgedeckt. Diese Plattform haben Störche als Nistplatzt für sich entdeckt. Im Herbst 2020 soll gemeinsam mit dem Storchenbeaufragten des Bezirkes ein fixes Korbgerüst errichtet werden, das die Störche jedes Frühjahr bevölkern und ausbauen können. Als Storchenwohnung und Wahrzeichen der Stadt soll der schiefe Turm von Freistadt noch viele Jahrzehnte erhalten werden, auch wenn er heute kalt bleibt.